Warum feste KI-Ziele gefährlich sind und weshalb Governance wichtiger ist als Zieldefinition

Veröffentlicht am 25. Dezember 2025 um 11:59

Mit der zunehmenden Leistungsfähigkeit von Künstlicher Intelligenz wächst auch die Unsicherheit darüber, wie diese Systeme langfristig gesteuert werden sollen. Spätestens seit der breiten Diskussion um sogenannte Superintelligenz stellt sich nicht mehr nur die Frage, was KI kann, sondern wie wir sicherstellen, dass ihr Handeln mit menschlichen Interessen vereinbar bleibt. Ein zentraler Gedanke in dieser Debatte, prominent formuliert etwa von Max Tegmark in seinem Buch Leben 3.0, ist das sogenannte Zielabstimmungsproblem: Je intelligenter ein System wird, desto entscheidender wird es, dass seine Ziele korrekt definiert sind.

 

Diese Überlegung ist intuitiv nachvollziehbar. Wenn KI immer besser darin wird, Ziele effizient zu verfolgen, scheint es naheliegend, den Fokus auf die „richtige“ Zieldefinition zu legen. Genau hier setzt jedoch ein grundlegendes Problem an, das in der Diskussion oft übersehen wird. Nicht, weil Ziele unwichtig wären, sondern weil die Annahme, Ziele liessen sich eindeutig, dauerhaft und kontextunabhängig festlegen, der Realität komplexer menschlicher Systeme widerspricht.

 

Die Debatte um sogenannte Zielabstimmung oder „Alignment“ geht meist davon aus, dass KI ein klar definiertes, langfristig gültiges Ziel benötigt. Dieses Ziel soll im Idealfall mit menschlichen Werten übereinstimmen und so verhindern, dass ein hochleistungsfähiges System Schaden anrichtet. Diese Logik ist bekannt, prominent vertreten und technisch nachvollziehbar. Sie übersieht jedoch etwas Grundlegendes: In keiner menschlichen Domäne funktionieren Ziele auf diese Weise.

 

Menschen verfolgen Ziele, aber sie tun dies nicht absolut, nicht widerspruchsfrei und schon gar nicht dauerhaft. Ziele verändern sich mit neuen Informationen, mit Erfahrung, mit gesellschaftlichem Wandel und mit persönlicher Entwicklung. Auch Organisationen, Staaten oder demokratische Systeme funktionieren nicht, weil sie ein einziges, perfektes Ziel kennen, sondern weil sie Verfahren etabliert haben, mit Zielkonflikten umzugehen und Entscheidungen zu korrigieren. Genau diese Dynamik fehlt in der klassischen KI-Zieldebatte.

Der eigentliche Fehler liegt darin, Ziele als Endzustand zu verstehen. Als etwas, das einmal festgelegt wird und dann möglichst effizient optimiert werden soll. Dieses Denken stammt aus einer technischen Logik, die bei einfachen Systemen funktioniert, bei komplexen jedoch versagt. Je leistungsfähiger ein System wird, desto problematischer wird eine starre Zieldefinition. Nicht weil das Ziel „falsch“ wäre, sondern weil sich der Kontext verändert, in dem dieses Ziel verfolgt wird.

 

Gerade hier wird deutlich, warum die Fixierung auf „das richtige Ziel“ zu kurz greift. Die Frage, welches Ziel eine KI verfolgen soll, ist nicht falsch – sie ist unvollständig. Die entscheidendere Frage lautet, wie wir mit Zieländerungen umgehen, wie wir Zielkonflikte erkennen und wie Verantwortung organisiert ist, wenn ein System beginnt, seine Aufgaben besser zu erfüllen als seine Erbauer.

An dieser Stelle wird deutlich, dass es sich nicht primär um ein technisches Problem handelt. Es ist ein Governance-Problem. Governance bedeutet nicht Kontrolle im Sinne von Einschränkung, sondern Gestaltung von Entscheidungsprozessen. Es geht um Zuständigkeiten, Transparenz, Revisionsfähigkeit und menschliche Verantwortung. Ein governance-basiertes System akzeptiert, dass Ziele vorläufig sind. Es geht nicht davon aus, dass wir heute bereits wissen können, was morgen richtig sein wird.

 

Ein hilfreicher Vergleich ist die Demokratie. Demokratische Systeme funktionieren nicht, weil sie immer die richtigen Entscheidungen treffen, sondern weil sie Mechanismen besitzen, Entscheidungen zu überprüfen, zu korrigieren und Macht zu begrenzen. Niemand würde eine Verfassung entwerfen mit dem Anspruch, ein einziges Ziel für alle Zeiten festzuschreiben. Stattdessen werden Verfahren definiert, die Wandel ermöglichen, ohne Stabilität zu verlieren. Genau diese Denkweise fehlt in vielen KI-Diskussionen.

 

In diesem Zusammenhang sind die Asilomar-KI-Prinzipien besonders interessant. Nicht, weil sie konkrete Ziele definieren, sondern weil sie eine Haltung formulieren. Sicherheit, Transparenz, menschliche Verantwortung und gesellschaftlicher Nutzen stehen im Vordergrund, nicht maximale Leistungsfähigkeit oder Geschwindigkeit. Diese Prinzipien wirken weniger wie Gebote und mehr wie Leitplanken. Und genau darin liegt ihre Stärke.

Für Organisationen bedeutet das einen Perspektivwechsel. KI ist kein Produkt, das man einmal konfiguriert und dann ausrollt. KI ist ein dynamisches System, das geführt werden muss. Wer heute versucht, KI über langfristig fixierte Zieldefinitionen zu kontrollieren, wird morgen feststellen, dass diese Kontrolle illusorisch war. Nachhaltige KI entsteht nicht durch perfekte Zieldefinitionen, sondern durch robuste Strukturen zur Zielüberprüfung.

 

Die gefährlichste KI ist daher nicht jene mit einem falschen Ziel. Es ist jene mit einem Ziel, das nie mehr hinterfragt wird. Wer KI verantwortungsvoll einsetzen will, muss sich von der Vorstellung verabschieden, dass es die eine richtige Zieldefinition gibt. Stattdessen braucht es Governance-Strukturen, die Korrektur ermöglichen, Verantwortung klar zuordnen und menschliche Werte nicht als Code, sondern als Prozess verstehen.